Im Frühsommer 2023 nahm der Gründer und Geschäftsführer von OBJENTIS, Roland Tscheinig, an der Learning Journey Digital Rwanda teil, die von NextAfrica/ECOTEC organisiert wurde. Im folgenden Interview teilt er seine Eindrücke von dieser Reise.
Wo genau hat dich die Reise hingeführt?
Roland: Die Learning Journey selbst führte nach Kigali, der Hauptstadt von Ruanda, sowie in zwei Vororte. Im Anschluss bin ich noch privat in den Norden des Landes gereist.
Was war das Ziel dieser Learning Journey?
Roland: Europa und Afrika wissen eigentlich viel zu wenig voneinander. Afrika entwickelt sich sehr schnell, es tut sich v.a. im digitalen Bereich sehr viel und es gibt verschiedenste Möglichkeiten, wie man sich als Unternehmen in Afrika engagieren kann. In Europa jedoch herrscht meist noch das alte Bild von einem unterentwickelten Afrika vor, viele Entwicklungen wurden verschlafen. Bei der Learning Journey geht es darum, dieses Bild „upzudaten“ und gegenseitig Wissen auszutauschen. Aber auch um den Appell: Man kann unternehmerisch etwas tun in Afrika und speziell in Ruanda gibt es viele Möglichkeiten, gerade im digitalen Bereich. Die Reise will Inspiration sein, wie Kooperationen zwischen europäischen und afrikanischen Firmen aussehen können; aber auch ein Weckruf, dass Europa den Entwicklungen in Afrika nicht hinterherläuft.
Ein paar allgemeine Worte zu Ruanda?
Roland: Ruanda liegt in Ost- bzw. Zentralafrika und hat gut 13 Mio. Einwohner bei einer Fläche von etwa einem Drittel von Österreich, somit ist die Bevölkerungsdichte relativ hoch. Das Land wird von einigen als das (zukünftige) Singapur Afrikas gesehen, ein Pilotland, wo neue Ideen ausprobiert werden können. Da es vergleichsweise wenig Bodenschätze gibt, versucht der ruandesische Staat stark in digitale Technologien und erneuerbare Energien zu investieren. In Ruanda kann man innerhalb von wenigen Stunden eine Firma gründen. Ob IT, Telekommunikation, Solarenergie, Drohnen, E-Mobilität oder E-Banking, es gibt Möglichkeiten in den verschiedensten Bereichen.
Ein interessanter Aspekt ist, dass neben den Bereichen IT und Nachhaltigkeit auch auf das Thema Frauengleichberechtigung ein großer Fokus gelegt wird. Diese ist in der Verfassung festgeschrieben, im Parlament und im öffentlichen Dienst gibt es eine Frauenquote und mit fast 85% weiblicher Arbeitsmarktbeteiligung steht Ruanda weltweit auf dem Spitzenplatz – ein interessantes Faktum, das die wenigsten kennen dürften.
Natürlich gab es in unserer Learning Journey Gruppe auch eine sehr kontroverse Diskussion: Bei all diesen positiven Entwicklungen ist Ruanda trotzdem ein autokratisch regierter Staat mit eingeschränkter Pressefreiheit, Menschenrechtsverletzungen und Unterdrückung der Opposition – Verbesserungen werden „top-down“ durchgeführt. Die Frage war, inwieweit es sozusagen nötig ist in einer sehr traditionell geprägten Gesellschaft – besonders nach dem Genozid mit seinen tiefen, gesellschaftlichen Gräben – Änderungen zuerst einmal durch eine „starke Hand“ von oben durchzuführen und „Demokratie kommt danach“, oder ist Demokratie, wie wir sie verstehen, unabdingbare Basisanforderung und danach erst kommt alles andere? Wären die bisherigen positiven Entwicklungen in so kurzer Zeit überhaupt möglich gewesen – insbesondere in Bezug auf die Aufarbeitung des Genozids, aber auch z.B. in Bezug auf die Gleichberechtigung von
Frauen -, ohne natürlich die negativen Auswirkungen einer Autokratie kleinreden zu wollen? Die Gruppe ist in dieser Frage zu keiner abschließenden Meinung gekommen.
Ihr habt viele Firmen und Start-ups besucht, welches Business-Modell fandest du am interessantesten?
Roland: Wir haben so viele interessante Firmen besucht, dass es mir schwer fällt, eine Auswahl zu treffen. Ich möchte vielleicht einfach zwei Beispiele geben.
Da wäre die Firma Biomassters (www.biomassters.co), Das Geschäftsmodell ist an sich sehr simpel: In Ruanda wird traditionell mit Kohleöfen gekocht. Hierbei gibt es allerdings zwei große Probleme. Zum einen ist Kohle teuer und zum anderen ist sie energieineffizient und verschmutzt die Umwelt sehr stark. Schätzungen zufolge trägt das traditionelle Kochen zu 40% der Luftverschmutzung in Ruanda bei. Die Firma Biomassters importiert einerseits sehr energieeffiziente Pelletsöfen, andererseits verwendet sie für die Pellets Holzabfälle aus anderen Industriezweigen. Aufgrund eines Leasing Modells sind die Öfen für die Bevölkerung leistbar, die Verwendung von Holzabfällen hilft, eine Kreislaufwirtschaft aufzubauen, die Pellets sind viel kostengünstiger zu kaufen und das Verbrennen von Pellets ist viel umweltfreundlicher als Kohle.
© by Angelika Kiessling
Ein weiteres Beispiel wäre die Firma Irembo (ein Unternehmen, an dem der Staat beteiligt ist). Der ruandesische Staat investiert viel in den IT Bereich und hat sich zum Ziel gesetzt, eine für alle verfügbare digitale Kommunikation zwischen Staat und Bürger anzubieten. Das Problem in Ruanda ist allerdings, dass ein beachtlicher Teil der Bevölkerung noch keinen Zugang zum Internet bzw. zu IT Geräten wie Smartphone, PC oder Drucker hat. Die Firma Irembo, die die digitalen Services zwischen Staat und Bürger:innen betreibt, beauftragt deshalb lizensierte Agents im ganzen Land, für andere diese Services durchzuführen, also z.B. Geburtsurkunden elektronisch zu beantragen und auszudrucken.
© by Angelika Kiessling
Beide Beispiele zeigen eindrücklich, was für viele Geschäftsmodelle in Afrika gilt: Mit oftmals für uns ungewohnt erscheinenden Innovationen kann sehr viel Wirkung erzielt werden.
Wer oder was hat dich auf deiner Reise am meisten beeindruckt?
Roland: Eigentlich haben mich die Menschen, die ich dort getroffen habe, am meisten beeindruckt. 1994 fand in Ruanda ein Genozid statt, bei dem innerhalb von wenigen Monaten schätzungsweise zwischen einer halben bis zu einer Million Menschen ermordet wurden, hauptsächlich Angehörige der Tutsi-Minderheit, aber auch Hutu, die sich nicht an dem Völkermord beteiligen wollten. Trotz dieser schweren Traumatisierung und der extremen Spaltung der Gesellschaft versucht das Land sehr aktiv das Geschehene zu verarbeiten und die Menschen wieder zu vereinen. Insbesondere die jungen Menschen, die ich getroffen habe, strahlen einen großen Optimismus aus, dass dies gelingen wird. Als ein Beispiel für diese Haltung möchte ich einen jungen Mann nennen, der für unsere Learning Journey Gruppe seine Geschichte erzählte. Er selbst war zur Zeit des Genozids gerade mal ein Jahr alt. Man möchte meinen, dass eine so junge Person, die den Genozid damals zumindest nicht bewusst miterlebt hat, wenig Interesse an einer Aufarbeitung hat. Dieser Mann jedoch hat die Initiative „Our Past“ geschaffen, um die Versöhnung zwischen den Bevölkerungsgruppen zu unterstützen sowie eine Leugnung der Geschehnisse zu verhindern. Mich hat dies so beeindruckt, dass ich ihm spontan eine größere Spende für seine Initiative zugesagt habe. Wie bereits erwähnt, habe ich diesen engagierten „Spirit“ eigentlich bei allen jungen Menschen dort wahrgenommen. Neben der Verarbeitung der Vergangenheit haben sie den festen Glauben, dass ihr Land ein Vorzeigeland werden kann durch Initiative, Leistung und Technologie. Man spürt generell, dass die Menschen etwas verändern wollen und den Willen haben, dies zu schaffen.
Gab es Dinge, die dich überrascht haben?
Roland: Alle Bürger:innen müssen pro Monat 4 Stunden für die Allgemeinheit arbeiten, z.B. Infrastruktur erhalten, Straßen kehren, beim Hausbau helfen etc., also Dienst an der Gesellschaft leisten. Davon kann man sich angeblich auch nicht „freikaufen“.
Du hast dich während deines Aufenthalts auch mit einem Contractor von OBJENTIS getroffen, richtig?
Roland: Ja, ich habe mich natürlich mit Faustin getroffen. Faustin arbeitet – über die Firma „Code of Africa“ – bereits seit eineinhalb Jahren in unserem Development-Team für unsere AI basierte Automation. Auch wenn die Zusammenarbeit bisher nur remote erfolgt, ist Faustin ein sehr geschätzter und im Team sehr gut integrierter Kollege geworden.
Zum Schluss, was hast du für dich mitgenommen?
Roland: Es war für mich nicht der erste Afrika Besuch. Es gab diesmal nicht „die eine“ neue Einsicht, sondern der Eindruck, den ich vorher bereits hatte, hat sich verstärkt: Vermutlich viele Europäer:innen gehen davon aus, dass Länder, die wirtschaftlich „weiter vorne“ sind, die Berechtigung hätten, anderen Ländern zu zeigen, was man tun muss, damit es vorwärts geht – also der „Oberlehrer“ Gedanke. Wenn man in einem Land , welches nach unseren Standards wirtschaftlich noch nicht so weit ist, mit den Menschen spricht, dann merkt man, dass die Dinge, die für uns funktionieren, schwer eins zu eins anwendbar sind. So eine Idee, wie einen Agent einzusetzen, um die letzte Meile zwischen Staat und Bürgern ohne Internet-Zugang zu gehen, würde einer Europäerin bzw. einem Europäer wahrscheinlich gar nicht einfallen. Wir sollten sogar eher umgekehrt denken und uns fragen, was vielleicht bei uns gut anwendbar wäre. Dass man z.B. via SMS Geld zwischen Privatpersonen überweisen kann, wurde zwar nicht in Afrika erfunden, ist dort aber in einigen Ländern Standard. In Europa jedoch hat dies noch keinen merkbaren Einzug gehalten.
Es gibt Situationen, wo man erkennt, dass die Muster, wie man denkt und gewohnt ist, Probleme zu lösen, in einer anderen Umwelt nicht funktionieren. Das Improvisieren und das Hinterfragen, wie Dinge wirklich praktikabel gehandhabt werden können, ist etwas, das man mitnehmen kann. Business zwischen Europa und Afrika ist keine Einbahnstraße, sondern geht in beide Richtungen.
Einen Videobericht der Learning Journey gibt es unter https://ecotec.at/de/learning-journeys/learning-journey-digital-rwanda-2023/ zu sehen.
Das Interview wurde geführt am 31.07.2023 und verschriftlicht durch Sabine Stortenbeek.